Die Appenzeller Strassenbahn 1. Teil

(St. Gallen – Gais – Appenzell) / Bahnen im Appenzell

Berichterstattung von Hans Rudi Lüthy-Pavan, Gestaltung von Franz Straka

Erklärung zur Appenzellerbahn
Ürsprünglich war die Appenzellerbahn eine Strassenbahn, erst seit 1.1.2006 wird die gesamte Strecke in das Schmalspurnetz eingegliedert und als Schmalspurbahn geführt.
Technische Daten über das Teilstück St. Gallen – Gais – Appenzell

Betriebseröffnung: 1.10.1889 St. Gallen-Gais
l.7.1904 Gais-Appenzell
Länge: 20.050 m
Spurweite: 1.000 mm
Bertriebsart: Gemischte Zahnrad- u Adhäsionsbahn
(Zahnstangensystem: Riggenbach-Klose/von Roll
Elektrifizierung: 1931, Gleichstrom 1500 V
Ursprüngliche Gesellschaft: AST = Appenzeller Strassenbahn
Fusion mit der Appenzellerbahn per 1.1.1970


SGA ABDeh 4/4 Nr. 5 mit alten Wagen am
30.9.1989 in Gais.
Foto: P. Bugmann, Oberentfelden

HG 2/3 Nr. 4 "St. Gallen" in Gais ca. 1910.
Foto: Sammlung SVEA

Erst die Erfindung einer Lokomotive für Zahnrad- und Adhäsionsbetrieb mit einem Mechanismus für bewegliche Achsen zur Überwindung von engen Kurven durch den Maschinen-Inspektor der „Vereinigten Schweizerbahnen (VSB)“, Adolph Klose, ermöglichte die Projektierung und den Bau einer kostengünstigen Bahnverbindung zwischen St. Gallen und Gais. Nach Abklärung verschiedener Probleme wurde ein Konzessionsgesuch am 3.6.1885 eingereicht. Nur wenige Wochen später wurde vom National- und Ständerat die Zustimmung erteilt. Am 7.9.1887 konstituierte sich das Unternehmen mit konkreter Finanzierung unter dem Namen Appenzeller Strassenbahn-Gesellschaft .


SGA Erscheinungsbild Juni 1984 mit ABDeh 4/4
Nr. 6 sowie neuem wie altem Wagenmaterial im
Appenzell - Bahnhof
Foto: H.R.Lüthy, Oberentfelden

SGA Zug entlang der Sitter bei Appenzell.
Sammlung SVEA

Bevor die Bahn Wirklichkeit wurde, hegten weite Kreise vor allem wegen der schwierigen topographischen Situation grosse Zweifel über die Möglichkeit der Durchführung eines solchen Projektes. Insgesamt 8 verschiedene Streckenvarianten wurden ins Auge gefasst, doch blieb man bei der im September 1887 begonnenen Linie von St. Gallen nach Gais. Die Baukosten beliefen sich auf 1,7 Millionen Franken. Für den Streckenverlauf – vorwiegend entlang der Staatsstrasse im St. Gallischen wie im Appenzellischen Teil mussten entsprechende Bewilligungen ein geholt werden.


Der Triebwagen ABDeh 4/4 (Baujahr 1931) auf
dem 196 m langem Sitterviadukt in Appenzell, aus
dem Jahre 1966.
Foto: H.R. Lüthy, Oberentfelden

Der Triebwagen ABDeh 4/4 (Baujahr 1931) auf dem 196 m langem Sitterviadukt in Appenzell, aus dem Jahre 1966.
Foto: H.R. Lüthy, Oberentfelden

Am 11. September 1889 erfolgte die Kollaudation durch das schweizerische Eisenbahndepartement. So stand der offiziellen Eröffnung auf den 1. Oktober 1889 nichts mehr im Wege.


HG 2/4 Dampflokomotive in der steilen und engen Zahnstangenkurve ob St. Gallen.
Foto: B. Lorenz/Sammlung SVEA

Aufgrund der vorgelegten Pläne des Adolph Klose, Obermaschineningenieur der damaligen württembergischen Staatseisenbahnen, baute man 3 Dampflokomotiven der Bauart „Klose“ in der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM) zu einem Übernahmepreis von Fr. 55.000,- pro Lokomotive. Die Maschinen trugen die Namen:

Namen der Lokomotiven:

Lokomotive Nr. 1 „ Gais“

Lokomotive Nr. 2 „Teufen“

Lokomotive Nr. 3 „Bühler“


Die alte Station Gais ca. 1909, links eine HG 2/3,
rechts davon eine HG 2/4.
Foto G. Egli/Sammlung SVEA
Für die Lokomotiven war ein besonderes Leistungsprogramm aufgestellt worden: Zuggewicht von 70 t bis auf 100% Steigung mittels Zahnstange und bis auf 50% Steigung mittels Adhäsion. Oberhalb St. Gallens war eine sehr enge Kurve, sodass die Maschinen für einen Kurvenradius von 30 m gebaut wurden. Die Lokomotioven der AST bildeten eine Sehenswürdigkeit und übten eine derartige Anziehungskraft auf das Publikum aus, dass zur Bewältigung des Andranges sofort eine vierte Lokomotive in Auftrag gegeben werden musste.

HG 2/4 Dampflokomotive in Teufen.
Foto: B. Lorenz/Sammlung SVEA

Bild vom Bahnhof Appenzell im Dezember
2007 mit Pendelzug SGA. Foto: H.R. Lüthy

Diese wurde am 26. Juli 1890 in Betrieb genommen und auf den Namen „St. Gallen“ getauft. Um die Jahrhundertwende vor allem von Innerrhoder Seite Anstrengungen unternommen, die „Gaiserbahn“ bis Appenzell zu verlängern. Diesem Bestreben wurde 1902 die Zustimmigkeit erteilt wurde. Im Februar/März 1903 hatte auch der Innerrhoder Grosse Rat grünes Licht gegeben, sodass man den Ausbau unverzüglich anpackte und am 1. Juli 1904 die Streckeneröffnung feiern konnte. Als bedeutendstes Bauwerk auf diesem Abschnitt gilt das 196 Meter lange Sitterviadukt, das auf rund 25 Bögen erbaut wurde. Knapp 1 Mio. Franken kostete diese Erweiterung bis Appenzell. Diese Streckenerweiterung und die stetige Verkehrszunahme rief zu einer Vergrösserung des Fahrzeugbestandes. Im Jahre 1903 wurden bei der SLM in Winterthur 2 weitere Dampflokomotiven mit einem verbesserten System in Auftrag gegeben. Die Anordnung des Getriebes gegenüber den alten Modellen erfolgte grundverschieden, wichtiges Merkmal war die Anordnung des Triebwerkes auf der Aussenseite, wodurch sich eine einfachere Handhabung ergab. Zwei weitere Lokomotiven wurden bestellt, welche 1909 ausgeliefert wurden.


Die neue Aera: Triebwagen ABFeh 4/4 Nr. 7 im Bahnhof St. Gallen. Aufgenommen ca. 1960
Foto H.R. Lüthy

Der 1. Weltkrieg von 1914 – 1918 wirkte sich in der Kohlenknappheit aus und das hatte auswirkungen auf den Fuhrpark. Es musste ein spezieller Kriegsfahrplan eingeführt werden. Erst 1920 konnte mit einer Lockerung der Einschränkungen der normale Betrieb wieder laufen. Im Jahre 1931 wurde auch der Name der Bahn in SGA = St. Gallen-Gais-Appenzell-Bahn geändert. In die gleiche Zeitspanne fällt die Elektrifizierung der Bahn. Vor dieser grossen technischen Erneuerung wurde der Ersatz der Bahn durch einen Busbetrieb diskutiert und entsprechende Gutachten erstellt. Diese Ersetzbarkeits-Diskussionen wurden bis in unsere Zeit zum Teil heftig weitergeführt. So kann man heute eigentlich nur staunen, dass es die Bahn – ausgerüstet mit einer modernen

technischen Infrastruktur – überhaupt noch gibt. Auf den 1.1.1948 erfolgte die Fusion mit der Altstätten-Geis-Bahn (AG) , welche im Teil 2 näher beschrieben wird.


BCFeh 4/4 Nr. 6 mit altem Anhängewagen ob Appenzell, ca. 1950. Sammlung SVEA

BCFeh 4/4 Nr. 4 (Baujahr 1931) in St. Gallen

Werkfoto SLM der Dampflokomotive HG 2/4 Nr. 6 "SAENTIS"

Interessant ist, dass der Gedanke zur Elektrifizierung schon ins Jahr 1892 zurückgeht, als ein Verwaltungsratsmitglied den Gedanken trug, die Bahn von Anfang an elektrisch zu betreiben. Die lästig gewordene Rauchplage entlang der Strassenbahn und das grosse Verkehrsaufkommen gaben den Ausschlag, die Appenzeller Strassenbahn 1929 zu elektrifizieren. Eine Gemeinschaftsproduktion der SIG/BBC/SLM waren die neuen Triebwagen BCFeh 4/4 Nr. 1-5 (ebenfalls für den kombinierten Adhäsions- und Zahnstangenbetrieb eingerichtet).



HG 2/3 Nr. 3 "BUEHLER" im Bahnhof St. Gallen
kurz vor der Elektrifizierung ca. 1930

BCFeh 4/4 Nr. 3 in der steilen und engen Zahnstangenkurve, mit 30 m Radius oberhalb
St. Gallen, ca. 1940. Sammlung SVEA

In eine weitere Verkehrsentwicklungsphase fällt die Beschaffung von weiteren 3 Triebwagen Nr. 6-8 ABDeh 4/4 , die die 50 Jahre alten Triebfahrzeuge ablösen mussten. So wurden in der Folge einige Triebwagen ausrangiert. Ein Redaktör des „Appenzeller Volksfreundes“ hat minuziös ausgerechnet, dass jeder der Triebwagen 1-5 etwa 181 Monate oder 15 Jahre unterwegs war - bei jedem Wetter. Mit dem aus Kostengründen erfolgten Verzicht auf den von der Eidg. Expertenkommission im Jahre 1970 vorgeschlagenen “Riethüslitunnel“ entfiel auch die bereits ins Auge gefasst Vereinheitlichung des Fahrzeugparkes der auf 1.1.1970 mit der Appenzellerbahn fusionierten SGA. Die Ausrüstung der Fahrzeuge mit zusätzlichem Zahnradantrieb ergaben pro Zug erhebliche Mehrkosten (pro Triebgestell 500.000.—Fr.).

So wurden nach der erfolgten Fusion unter dem Namen „Appenzeller Bahnen“ 5 Triebwagen vom Typ BDeh 4/4 11-15 von FFA/BBC/SLM samt dazugehörigen Steuerwagen ABt 111-115 beschafft. Die Triebwagen haben nur noch einen Führerstand. Im appenzellischen Fremdenverkehr kommt den Bahnlinien Gossau-Appenzell-Wasserauen sowie der St. Gallen-Gais-Appenzell-Linie grosse Bedeutung zu. Sie sind für weite Teile der Bevölkerung der Region St. Gallen, aber auch der benachbarten Gebiete, das bevorzugte Mittel, in das Erholungsgebiet des Alpsteins zu gelangen. Die Bahnstrecke zwischen St. Gallen und Appenzell hat in den letzten Jahren Dank verschiedenen Ausbauarbeiten sehr an Bedeutung gewonnen. (Linienverlegung am


ABFeh 4/4 Nr. 1 in St. Gallen 1961.
Foto: H.R. Lüthy
Hirschberg bei Appenzell, verschiedene Stations- und Geleiseanlagenerweiterungen, div. Brückenerneuerungen).

Streckenprofil der Bahnlinie, Vergroesserung finden Sie mit einem Klick Hier

So steht die Sicherheit der Bahnbetriebe überall an erster Stelle und geniesst Priorität. Auch wenn einige grössere Streckenabschnitte von der Strasse weggekommen sind bleibt es für die Bevölkerung eben immer noch „unsere Strassenbahn“.


SGA-Zug mit ABDeh 4/4 Nr. 4, B2 118 + 126, Gk 206 + 202 am 9.5.81 zwischen Hirschberg und Sammelplatz. Im Hintergrund das Alpsteinmassiv
Foto G.F.Rohr/Sammlung SVEA

Nostalgie C 2 Nr. 118 im Anstrich von 1931 im
Bahnhof Gais. Foto: H.R. Lüthy

Rollmaterialverzeichnis


SGA ABDeh 4/4 Nr. 1 in der Tätigkeit als Zugpferd für die Rollbockwagen auf der Appenzellerbahn.
Foto: Sammlung SVEA
A) Dampflokomotiven (alle SLM Winterthur gbaut)

HG 2/3 Nr. 1 Baujahr: 1888 „Gais“ ausrangiert (ausgemustert) 1909 30 km/h, 33 t
HG 2/3 Nr. 2 Baujahr: 1888 „Teufen“ ausrangiert (ausgemustert) 1915 30 km/h, 33 t
HG 2/3 Nr. 3 Baujahr: 1888 „Bühler“ ausrangiert (ausgemustert) 1930 30 km/h, 33 t
HG 2/3 Nr. 4 Baujahr: 1890 „St. Gallen“ ausrangiert (ausgemustert) 1930 30 km/h, 34,6 t
HG 2/4 Nr. 5 Baujahr: 1904 „Appenzell“ ausrangiert (ausgemustert) 1932 35 km/h, 33,7 t
HG 2/4 Nr. 6 Baujahr: 1904 „Säntis“ ausrangiert (ausgemustert) 1930 35 km/h, 33,7 t
HG 2/4 Nr. 7 Baujahr: 1909 „Gäbris“ ausrangiert (ausgemustert) 1930 35 km/h, 35,2 t
HG 2/4 Nr. 8 Baujahr: 1909 „Fröhlichsegg“ ausrangiert (ausgemustert) 1934 35 km/h, 35,2 t

Alle Lokomotiven nach System „Adolph Klose“ von SLM Winterthur gebaut.
( Adolph Klose geb, 21.5.1844 in Bernstadt /Sachsen /gest. 2.9.1923 in München.)

B) Elektrische Triebfahrzeuge

BCFeh 4/4 Nrn. 1 – 5, Baujahr 1931, 40 km/h, Adhäsion/30 km/h Zahnstange, 40 t
ABDeh 4/4 Nrn. 6 - 8, Baujahr 1953, 55 km/h, Adhäsion/30 km/h Zahnstange, 35,6 t
BDeh 4/4 11-15 , Baujahr 1881, 65 km/h, Adhäsion/40 km/h Zahnstange, 44,5 t
(dazu gehören Steuerwagen ABt Nr. 111-115)

Hersteller der elektrischen Fahrzeuge

1 – 5 SIG/BBC/SLM
6 – 8 SLM/BBC
11 – 15 FFA/BBC/SLM


SGA-Dampfzug mit HG 2/4 am alten Sammelplatz,
im Hintergrund Alpstein.
Foto: B. Lorenz/Sammlung SVEA
Erklärung der Abkürzungen

SIG = Schweizerische Industrie-Gesellschaft
BBC = Brown Broveri & Cie.
SLM = Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur

Kleine Episode aus dem Jahre 1926

Brief an die Appenzeller Strassenbahn:

„Was würden Sie machen, wenn Sie am Ostersonntag das Haus verlassen, sauber gekleidet, weisses Hemd, weisser Kragen? Der Zug fährt vorbei. Ein schwarzer Regen fällt hernieder und nachher sind Sie ganz modern! Schwarz kariert an Gesicht, Händen und Kleidern. Natürlich würden Sie schimpfen. Mein Vorschlag zur Güte: Könnten Sue nicht Ihren Expresszügen eine fahrbare chemische Waschanstalt folgen lassen ?? Ich wünsche Ihnen ein recht flottes Betriebsergebnis . . . . . .“

Auszug aus einem Privaten Brief an die Appenzeller Strassenbahn.

. . . ein typisches Zeichen im Zeitalter der Dampflokomotive.
Quellen

Die Appenzeller Strassenbahn (1889-1940) v. A. Gächter

Eisenbahn Amateur 09/89

Text: H.R. Lüthy
Gestaltung: Franz Straka
Mai 2008