Die Strassenbahn von St. Moritz

Berichterstattung Hans Rudi Lüthy-Pavan, Gestaltung von Franz Straka
Technische Daten

Betriebseröffnung: 5. Juli 1896
Spurweite: 1.000 mm
Betriebslänge: 1.635 m
Ausgangspunkt Dorf (Postplatz) 1.823 m ü. M.
Endpunkt St. Moritz Bad (Kurhaus) 1.775 m ü. M.
Grösste Steigung: 66 ‰
Kleinster Kurvenradius 30 m
Stromsystem: 500 Volt Gleichstrom
Betriebseinstellung: 18. September 1932

Durch die heilende Wirkung der Thermalquellen und der Förderung des breiten Wintersportes wurde der früher kleine Engadiner „Bauernort“ St. Moritz Ende des 19. Jahrhunderts ein bekannter und vielbesuchter Kurort. Besonders die Engländer waren es, welche von den nahen Gletschern, der guten Luft und anderen Vorzügen zu profitieren versuchten und das „verschlafene Nest“ zu einem noblen Kurort avancierten. So entstanden bei den Heilquellen in St. Moritz-Bad verschiedene Hotels und Pensionen jeglicher Preislagen, aber auch Einkaufsgeschäfte und bereits die ersten Boutiquen.

Kreuzung zweier Tramwagen bei der Ausweiche "Englische Kirche".
(Sammlung Eidg. Archiv für Denkmalpflege/Prellbock-Verlag)

Der Verkehr zwischen dem oberen Dorfteil, dem sogenannten St. Moritz-Dorf und dem unteren Teil, dem Bad, nahm immer mehr zu und man sah sich gezwungen einen Pferdeomnibus einzurichten. Bei trockenem Wetter war es der Staub, bei regnerischem Wetter der Schmutz, welcher nicht in dieses „heile Stück Welt“ passte. Und so kam es im Oktober 1891 zur Gründung eines Initiativkomitees für den Bau einer elektrischen Strassenbahn vom Dorf ins Bad. Bereits im Februar 1892 wurde die Projektierung der Bahn in einem Wettbewerb ausgeschrieben.

Bis Ende April desselben Jahres wurden drei Projekte eingereicht, von welchen das von Ingenieur C.J. Schumacher aus Luzern angenommen wurde. Die Aktien wurden ebenfalls noch im gleichen Jahr gezeichnet. Um die Projektierung möglichst rasch zu ermöglichen, gewährte die Gemeinde St. Moritz der Projektleitung ein Darlehen von 100.000.- Franken zu einem Zins von 3%. Am 22.Dezember 1892 wurde durch einen Bundesbeschluss die Konzession für die Strassenbahn St. Moritz erteilt.

Im Juni 1894 konnte das fertige Projekt dem Eidgenössischen Post- und Eisenbahndepartement zur Genehmigung eingereicht werden. Die Bahn hatte ihren Ausgangspunkt bei der Heilquelle St. Moritz-Bad und folgte von da der Strasse bis zur Innbrücke. Weiter ging es entlang der Badstrasse, an der englischen Kirche vorbei zum Postplatz in St. Moritz-Dorf, wo sie die Strasse verliess und in eine Einstiegshalle mündete.


Farbbild Tramway electrique St. Moritz.
(AEG Nürnberg/St.Moritz Tourismus)

Die grösste Steigung befand sich bei der Villa Flütsch, zwischen Innbrücke und der englischen Kirche. Bei der Innbrücke befand sich auch der kleinste Kurvenradius von 30 m. Die Bahn benützte auf ihrer ganzen Länge die Strasse, wobei diese von 6 m auf 10 m verbreitert werden mußte. Dies machte wiederum die Erstellung verschiedener Stützmauern notwendig. Auf der ganzen Länge wurde ein Trottoir für die Fussgänger erstellt. Die Wagenremise errichtete man beim Ausgangspunkt in St. Moritz-Bad.


Wie in einer Grosstadt: Paracelsusstrasse mit dem St. Moritzer Tram.
(Siemens Forum, München/Prellbock-Verlag Leissigen)

Nachdem die Verträge mit der Gemeinde, dem Elektrizitätswerk und den Grundeigentümern längs der Bahn abgeschlossen worden sind, wurde im Juli 1894 der Bau der Bahn ausgeschrieben. Die Unterbauarbeiten wurden zuerst der Firma Ghielmetti in Dietikon vergeben. Nachdem aber diese Firma mit den Vertragsbestimmungen nicht einverstanden war, wurde die Firma Huderwalt in Chur mit dem Bau beauftragt. Den Bau der elektrischen Anlagen übernahm die Elektrizitäts- Ges. Schuckert & Co. aus Nürnberg. Am 17.Oktober 1894 musste die Strassenbahn an das kantonale Forstamt Graubünden eine Real-Kaution von 80.000,-- Franken entrichten, um mit dem Bau der Anlagen überhaupt beginnen zu können. Man hatte kaum damit begonnen, da brach der Winter schon Ende Oktober herein und die Arbeiten mussten vorerst eingestellt werden. Im März 1895 wurden die Brückenteile und Schienen bestellt. Antransportiert wurden diese über

die Gebirgsstrecke Gotthard-Chiavenna-Maloja. Im April des gleichen Jahres bestellte man beim Forstamt von Zernez fünf Holzmasten für die Errichtung der Fahrleitung. Die elektrischen Anlagen wurden zum Teil in Kisten verladen mit der Bahn nach Chur gebracht und von dort von durch die Firma Brasser-Kieni aus Silvaplana mit Pferdefuhrwerken über die Lenzerheide sowie den Julierpass nach St. Moritz transportiert.
Gegenüber der englischen Kirche wurde eine Haltestelle mit Ausweichgeleise gebaut. Als Schutz für die wartenden Gäste wurde ein Dach erstellt, welches auch heute noch als einziges stehendes Objekt an die Strassenbahn erinnert. Am 22.September 1895 war die Strassenbahn inklusive der wenigen Hochbauten fertiggestellt. Die Motorwagen wurden in St. Moritz zusammengebaut und ab Oktober zu Probefahrten ausgeführt. Die amtliche Kollaudation wurde am 3.Oktober 1895 durchgeführt. Anfänglich war vorgesehen, drei Motorwagen anzukaufen (70 PS, Fassungsvermögen 20-24 Personen,

Das Tram in St. Moritz-Bad mit der franz. Kirche neben dem Heilbad. (Sammlung Schetty/Prellbock-Verlag)
Höchstgeschwindigkeit 16 km/h, Gewicht 7 t). Der grossen Steigung wegen aber wurden vier Motorwagen vom Typ Ce 2/2 Nummer 1 – 4 bestellt. Auf jeder Plattform des Wagens war in Form einer flachen Trommel ein Einschalter angeordnet, mit welchem die Geschwindigkeit durch das Ein- und Ausschalten von Wiederständen reguliert wurde. Die Stromabnahme erfolgte vom Fahrdraht über einen Trolley, der je nach Fahrrichtung umgelegt werden musste. Beidseitig wurden die Wagen mit einer einfachen Strassenbahnkupplung, die gleichzeitig als Zug- und Stossvorrichtung diente, ausgerüstet. Anhänger waren keine vorhanden.

Die greossen Hotels profitieren vom neuen Verkehrsmittel. Die eine Seite ist französisch, die andere Sedite "deutsch" beschriftet.
(Sammlung Schetty/Prellbock-Verlag)

Die Wagen wurden von der Firma Schuckert & Co. in Nürnberg gebaut und blau mit weissen Zierstreifen bemalt. Sie trugen die Aufschrift „Elektrische Strassenbahn“ in deutscher Sprache auf der einen Seite und derselbe Text in französischer Sprache auf der andern Seite. Die eigentlichen Initialen ( Str.St.M = Strassenbahn St. Moritz) waren auf den Wagen nirgends zu finden. Die offizielle Eröffnung der Bahn fand am 5.Juli 1896 statt. Es fuhren immer gleichzeitig, alle 12 Minuten, je ein Wagen vom Dorf und einer vom Bad ab und kreuzten bei der englischen Kirche. Der Fahrpreis betrug 20 Rappen für eine Fahrt.

Nach Übernahme durch die Gemeinde St. Moritz 1917 wurde der Fahrpreis für Einheimische auf 10 Rappen reduziert. Da die Bahn zuerst nur im Sommer in Betrieb war (in den ersten Jahren von Mitte Juni bis Ende September) waren die Fahrgastzahlen oft stark vom Wetter abhängig. Die Ergebnisse der Betriebsrechnungen waren deshalb grossen Schwankungen unterworfen. Bis 1902, ab 1906 bis 1911 erzielte die Bahn schwarze Zahlen, dazwischen wurden aber auch Verluste geschrieben. Vor allem der Erste Weltkrieg brachte einen beträchtlichen Rückgang der Einnahmen mit sich.

1920 wurde eine gründliche Überholung der Motorwagen durchgeführt. Sie beschränkte sich nicht nur auf die Erneuerung der elektrischen Ausrüstung, sondern auch auf die mechanischen Teile und auf die Wagenkastenerhaltung wurde grossen Wert gelegt. Die offenen Plattformen wurden durch Schutzglaswände geschlossen, sodass bei schlechtem Wetter oder aber auch im Herbst das Bedienungspersonal besser geschützt war. Um die finanzielle Lage der Strassenbahn zu verbessern, wurden die Wagen mit Reklametafeln versehen.


Die Strassenbahn beim Engadiner Museum. (Sammlung Dokumentations-Biblkiothek St. Moritz)

Der Bau der Rhätischen Bahn nach St. Moritz und die Erstellung eines Bahnhofes unterhalb des Dorfes, brachte die St. Moritzer auf die Idee, die bestehende Linie zu verlängern und so mit der Strassenbahn einen direkten Anschluss an den 1904 eröffneten Bahnhof zu suchen. Das Anzuchen um eine Konzession über die Ausdehnung auf den Strecken St. Moritz-Dorf zum Bahnhof und von hier dem See entlang zurück zum Bad wurde im August 1902 gestellt . Der Betrieb hätte den Bedarf von 15 Wagen benötigt und man hätte ein grösseres Depot bauen müssen. Obwohl die Konzession am 19. Dezember 1902 erteilt wurde, scheiterte sie aus finanziellen Gründen. Das gleiche Projekt wurde nochmals im Jahre 1912 aufgegriffen und zusätzlich auf eine dritte Linie vom Bad zum Champferer-See ausagedehnt. Man sah die Wichtigkeit der Verbindung von St. Moritz zu den übrigen Oberengadiner-Seen. Mit dieser Linie sollte auch die Rendite der restlichen Linie verbessert werden. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte jedoch den Bau und die Bilanz der Strassenbahn wies nur noch rote Zahlen aus. Im Jahre 1917 übernahm die Gemeinde St. Moritz die Strassenbahn und ersuchte im April 1922 den Bundesrat um Erteilung einer Konzession für die Verlängerung vom Bahnhof nach St. Moritz-Bad. Auch wenn dem Gesuch am 1.Juli 1922 entsprochen wurde kam es nicht zur Ausführung dieses Projektes. Nach der Übernahme durch die Gemeinde konnte 1923 wieder ein Überschuss erwirtschaftet werden und im Olympiajahr 1928 stieg dieser sogar auf 37.378.-- Franken an. Das 1926 geschriebene Defizit war deshalb entstanden, weil durch die Einführung eines Probebetriebes mit Autobussen höhere Aufwendungen zu verbuchen waren. Nach 1930 ging es jedoch analog der Wirtschaftskrise steil bergab und innerhalb von zwei Jahren betrugen die Einnahmen nur noch die Hälfte von 1930 .Im November 1932 beschloss die Gemeinde St. Moritz den Strassenbahnbetrieb aufzuheben und durch Autobusse zu ersetzen. Die Anlagen und auch die Fahrzeuge waren in einem derart schlechten Zustand, dass eine Sanierung nicht mehr in Frage kam. Die Bahn wurde daraufhin abgebaut wobei nur die Haltestelle bei der englischen Kirche erhalten blieb. Die letzte blaue Tram verkehrte am 18. September 1932. Die Motorwagen wurden daraufhin verschrottet.

Quellen

Geschichte der Strassenbahn St. Moritz/Gian Brüngger
Elektr. Strassenbahn St. Moritz/Prellbock-Verlag, Leissigen/Markus Keller
Fotos unter Genehmigung der St. Moritz-Tourismus-Direktion
VHS-Angaben.

Bericht: Hans Rudi Lüthy-Pavan
Gestaltung: Franz Straka
Dezember 2008