Die Warschauer Strassenbahn
100 Jahre elektrische Strassenbahn
 
Berichterstattung: Josef Trzionka, Gestaltung: Martin Ortner und Franz Straka
Im Jahre 1862 wurde die Warschau-St.Petersburg-Bahn eröffnet. Sie verband das Königreich Polen mit der Hauptstadt des Zarenreiches. Der Bahnhof selbst wurde auf der rechten Seite der Weichsel errichtet und hatte vorerst weder eine direkte Verbindung zum Bahnhof Wileński ( Wiener Bahnhof, hier fuhren die Züge Richtung Wien ab). Am 17. Dezember 1865 erhielt eine russische Eisenbahn-Strassenbahn-Gesellschaft die Genehmigung, die erste Pferdestrassenbahn zu errichten. Interessant dabei ist besonders, dass diese Genehmigung ursprünglich bis zum Jahr 1952 Gültigkeit hatte. Bereits im folgenden Jahr wurde eine 6,2 km lange Strecke errichtet, deren Hauptzweig den Wileński mit dem Wiener Bahnhof verband. Die erste Strassenbahnfahrt auf der eingleisigen Strecke (Spurweite: 1.525 mm) wurde am 11. Dezember 1866 durchgeführt. Von zwei Pferden gezogen konnten die roten, schweren Waggons (2,5 t) bis zu 35 Passagiere befördern. Die Kapazität stieg bis 1869 auf 378.000 Fahrgäste jährlich. Das Problem der fehlenden Verbindungen innerhalb der Stadt wurde dadurch aber auch nicht vollständig gelöst.
 

Züge der Pferdestrassenbahn sowie ein Pferdeomnibuswagen. Foto: Ansichtskarte
Museums - Pferdeomnibus wartet auf seine Fahrgäste. Foto: Tramwaje Warszawskie

1880 schrieb die Stadt Warschau daher einen Wettbewerb zur Errichtung weiterer Strassenbahnen aus, den die Gesellschaft „Societe Generale de Tramways – Tramways Varsoviens“ für sich entscheiden konnte. Mit Hilfe dieses belgischen Unternehmens entwickelte sich die Strassenbahn rasch weiter. 1882 wurde von diesem auch die russische Eisenbahn-Strassenbahn-Gesellschaft zu einem Kaufpreis von 10.000 Rubel pro Jahr (bis zum Ende der Konzession im Jahre 1952) vorübergehend erworben. 1890 übernahm die Stadt Warschau die Strassenbahnanteile von der belgischen Gesellschaft. Damit ging die 29,3 km lange Strecke mit bereits 17 Linien, 234 Wägen und 656 Pferden in den Besitz der Stadt über. Während in den europäischen Metropolen bereits die moderne Technik (Elektrifizierung) Einzug gehalten hatte, hinkte Warschau bei der Umstellung vom Pferde- auf den elektrischen Betrieb hinterher. Erst 1905 wurde mit dem Bau eines eigenen Kraftwerkes begonnen, dass die Strassenbahn versorgen sollte. (In diesem Werk befindet sich heute das Museum zum Warschauer Aufstand 1944.) Für den elektrischen Betrieb benötigte man neue Strassenbahngarnituren. 180 Trieb- und 10 Beiwägen wurden dazu von Siemens-Schuckert geliefert. Der von Zar Nikolaus II. genehmigte Vertrag beinhaltete auch die Umrüstung von 10 Pferdewägen zu Beiwägen.
Gebaut wurden die Triebwägen Modell „Type A“ bei den Firmen MAN in Nürnberg und Falkenried in Hamburg. Den Unterteil fertigte dazu die Firma Carl Weyer, während die elektrischen Elemente von Siemens-Schuckert und Siemens-Halse geliefert wurden.
Am 26. März 1908 konnten die ersten 14 elektrischen Strassenbahnlinien in Warschau feierlich eröffnet werden.
 

Triebwagen 90 der Type A fährt um 1910 auf Linie 3 durch die Krolewska - Strasse. Foto: Tramwaje Warszawskie

Zwei Triebwagen der Type A (Linien 12 und M) warten im Jahr 1915 in der Allee des 3. Mai auf Fahrgäste.
Foto: Tramwaje Warszawskie
Die Stadt plante Ende der 30er-Jahre eine massive Erweiterung der Strassenbahn. (Das ursprüngliche Vorhaben sah einen dreimal so großen Ausbau als tatsächlich durchgeführt vor!). Bereits 1931 wurde ein eigenes Museum für Strassenbahnen und Busse eröffnet.
Der Einmarsch Hitlerdeutschlands und der folgende Zweite Weltkrieg indem Warschau zu beinahe 80% zerstört wurde, bereiteten diesen ambitionierten Plänen jedoch ein jähres Ende. Während schwerer Kämpfe im September und Oktober 1939 kam der Strassenbahnbetrieb vollkommen zum Erliegen. Viele polnische Männer wurden als Zwangs-Arbeiter nach Deutschland ausgesiedelt, wodurch es zu einer massiven „Personalknappheit“ kam. Deshalb „mussten“ 1942 erstmals Frauen als Schaffnerinnen eingesetzt werden. In Folge des Krieges kam 1944 der Strassenbahnbetrieb erneut zu erliegen. Erst am 20.Juni 1945 war die Wiederinbetriebnahme der ersten Linie möglich. Von Oktober bis November 1945, kamen aus Berlin 51 Triebwagen (Modell K- „Berliner“) und 16 Anhänger (Modell P-15III)).

Triebwagen Model K nach der Anlieferung aus Berlin vor deren Abladung 1945 in Warschau.
Foto: Tramwaje Warszawskie

Museumstriebwagen 403 der Type K.
Foto: Tramwaje Warszawskie
Alle Strecken wurden von der Spurweite 1.525 mm auf die Spurweite 1.435 mm umgebaut. Am 22. Juli 1952 kamen neue Triebwagen (Modell N und ND) auf die Strassenbahn. Die ersten „schnellen“ Strassenbahngarnituren „Tatra T1“ und die polnische „13N“ kamen ab den Jahren 1956 bzw. 1959 zum Einsatz.

Triebwagen 838 der Type 4N .
Foto: Tramwaje Warszawskie

Triebwagen der Type 13 N.
Foto: Tramwaje Warszawskie
 

Aktueller Liniennetzplan der Warschauer Strassenbahn. Quelle: Tramwaje Warszawskie
 
Obwohl (oder weil) sich der Ausbau der Strassenbahnlinien in den Folgejahren rasch entwickelte wurden die Betriebe von den kommunistischen Diktatoren bis in die 70er-Jahre liquidiert. Heute werden die ehemals liquidierten Linien neu aufgebaut und zusätzlich um neue Strecken erweitert. Zurzeit befördert die Warschauer Strassenbahn mit 876 Garnituren sowie 13 historischen Wägen auf 40 Linien ihre Fahrgäste.
 
Die elektrischen Triebwagen der Warschauer Strassenbahn
 
Triebwagen Modell A
Die Triebwagen der Type A waren die ersten Triebwagen, welche für den elektrischen Betrieb angeschafft worden sind. Sie wurden in den Jahren 1906 bis 1912 von den Waggonfabriken MAN in Nürnberg und Falkenried in Hamburg in einer Anzahl von 202 Stück an die Warschauer Strassenbahn abgeliefert. Die elektrische Ausrüstung stammte von den Siemens-Schuckert-Werken. Die Triebwagen erreichten mit ihren beiden Motoren mit einer Leistung von je 23 kW eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h.

Innenansicht Triebwagen Type A.
Foto: Tramwaje Warszawskie
Technische Daten:
Länge:
9.130 mm
Breite:
2.200 mm
Höhe:
3.410 mm
Wagenmasse:
10.200 kg
Türaufteilung:
2 + 2
Plätze (Sitz- und Stehplätze)
54 Personen

Triebwagen 24 der Type A, aufgenommen um 1912, wird sogleich auf der Linie 22 die Weichsel queren. Foto: Tramwaje Warszawskie

Triebwagen 43 steht als Linie 3 betafelt im Museum ausgestellt. Foto: Marcin Stiasny
Triebwagen Modell C
Bei den Triebwagen der Type C handelt es sich um einen polnischen Nachbau der Type A, welche im Jahre 1925 in einer Stückzahl von 30 durch die Waggonfabrik Lilpop Rau & Loewenstein in Warschau gefertigt wurden.
 
Triebwagen257 steht im Museum abgestellt.
Foto: Tramwaje Warszawskie
Triebwagen Modell Lw
Nach dem Ende des II. Weltkriegs kamen insgesamt 15 Wagen der Type Lw aus Breslau nach Warschau. Es handelt sich hierbei um Wagen der "Standard" - Bauart, welche in den Jahren 1925 bis 1927 von Linke - Hoffmann in Breslau gefertigt wurden. Sie hatten bereits einen Wagenkasten aus Stahl, während die Wagenkästen der Typen A und C aus Holz gefertigt wurden. Die Wagen der Serie Lw standen in Warschau bis ca. 1965 im Einsatz. Im Museumsstand befindet sich der fahrfähig aufgearbeitete Triebwagen mit der Nummer 541.
 

Museumstriebwagen 541 der Type Lw.
Foto: Tramwaje Warszawskie
Triebwagen Modell K
Die Triebwagen der Type K wurden 1939 bei den Waggonfabriken Königshütte und Domesky Eisenbahn Waggonbau Freie Stadt Danzig bestellt. Durch die Wirren des II. Weltkriegs gelangten die für Warschau bestimmten Fahrzeuge zunächst nach Berlin. Nach Ende des Krieges kamen die Triebwagen nach Warschau. Die 60 Triebwagen wurden bis 1962 im Personenverkehr eingesetzt.

Inneneinrichtung des Museumstriebwagens 403.
Foto: Tramwaje Warszawskie

Triebwagen 450 fährt, wie man anhand der auf den Trittbrettern mitfahrenden Fahrgästen erkennen kann, in der Hauptverkehrszeit auf der Linie 25.
Foto: Tramwaje Warszawskie
Triebwagen Modell N und 4N
Die Triebwagen der Type N und 4N hatten einen Aufbau, der an jenen der deutschen Kriegsstrassenbahnwagen der Type "Heidelberg" angelehnt war . Er wurden in den Jahren 1949 bis 1956 in einer Stückzahl von 221 durch die Waggonfabrik Konstal Chorzow gebaut. Die Höchstgeschwindigkeit der Wagen betrug 55 km/h. Als Museumswagen wurden der Triebwagen 607 der Type N sowie der Triebwagen 838 der Type 4N und ein passender Beiwagen erhalten. Die Ausserdienststellung der Wagen im Personenverkehr erfolgte bis Anfang der 1960er Jahre.

Museumswagen 607 der Type N.
Foto: Tramwaje Warszawskie

Museumswagen 838 der Type 4N mit Beiwagen.
Foto: Tramwaje Warszawskie
Triebwagen Modell 13N
Bei dieser Type handelt es sich um einen vierachsigen Grossraumwagen des polnischen Herstellers Konstal Chorzow. In den jahren 1959 bis 1969 wurden insgesamt 840 Triebwagen dieser Type hergestellt. Er war der erste schnellfahrende Strassen-bahntriebwagen mit automatischen Türen in Warschau. Triebwagen dieser Type stehen bis heute (247 Stück, Stand: 06.2008) auf den Strassen Warschaus im täglichen Einsatz.
Triebwagen Modell 105Na
Triebwagen dieser Type wurden in den Jahren 1975 bis 1992 in einer Stückzahl von 378 durch den Hersteller Konstal Chorzow an die Warschauer Strassen-bahn geliefert. Er ist in den Aus-führungen Na, Nb, Ne, Bf, Nm und NT vorhanden. Triebwagen dieser Type sind in fast allen polnischen Städten anzutreffen.
 
Triebwagen 1372 der Type 105Na.
Foto: Tramwaje Warszawskie
Technische Daten
Länge:
13.500 mm
Sitzplätze:
20
Breite:
2.400 mm
Stehplätze:
105
Höhe:
3.060 mm
Einstiegshöhe:
910 mm
Radstand:
1.900 mm
Antriebsleistung:
4 x 41,5 kW
Drehgestellabstand:
5.000 mm
Anfahrbeschleunigung:
max. 1,4 m/s²
Wagenmasse:
16.800 kg
Bremsverzögerung:
3 m/s²
Höchstgeschwindigkeit:
72 km/h
Triebwagen Modell 112N
Bei der Type 112N handelt es sich um einen vierachsigen Niederflurtriebwagen des polnischen Herstellers Konstal Chorzow. Er war die erste Nieder-r-flurstrassenbahn Warschaus, wurde 1995 geliefert und blieb ein Einzelstück mit der Wagennummer 3001.
 
Triebwagen 3001 wartet in der Remise auf das Ausrücken. Foto: Tramwaje Warszawskie

Triebwagen Modell 105N2k
Triebwagen dieser Type wurden in den Jahren 1995 bis 2000 in einer Stückzahl von 60 durch den Hersteller Alstom Konstal Chorzow an die Warschauer Strassenbahn geliefert. Er stellt eine modernisierte Version der Type 105xx dar und zeichnet sich durch seine neue Antriebstechnologie aus. Die grossen Schwenkschiebetüren stammen von der in Waidhofen/Ybbs ansässigen Firma IFE.

Triebwagen 2016 der Type 105N2k.
Foto: Tramwaje Warszawskie

Inneneinrichtung eines Triebwagens der Type Type 105N2k. Foto: Tramwaje Warszawskie
Technische Daten:
Länge:
13.390 mm
Wagenmasse:
17.700 kg
Breite:
2.400 mm
Höchstgeschwindigkeit:
70 km/h
Höhe:
3.060 mm
Sitzplätze:
20
Radstand:
1.900 mm
Stehplätze:
105
Drehgestellabstand:
6.000 mm
 
Triebwagen Modell 116N
Im Anschluss an die Wagen der Type 105N2k wurden in den Jahren 1998 bis 2000 insgesamt 29 Züge der Type 116N bestellt. In Unterschied zur Type 105xx wurden die Triebwagen als Doppelgelenkstriebwagen ausgeführt. Der elektrische Antrieb wurde durch die Firma ELIN EBG geliefert, während der mechanische Teil durch Alstom Konstal Chorzow gebaut wurde.
 
Triebwagen Type 116N. Foto: Tramwaje Warszawskie

Triebwagen Modell 105N2k - 2000
Die modernste Variante des vierachsigen Triebwagens in Warschau stellt diese Type dar, welche im Jahr 2001 in einer Anzahl von 62 Stück durch Alstom Konstal Chorzow an die Warschauer Strassenbahn abgeliefert wurden. Er ist antriebstechnisch mit seinem Vorgänger ident, es wurde jedoch ein modern designter Bugteil sowie ein neues Fahrerpult für die Triebwagen der Type 105N2k - 2000 entworfen.

Triebwagen der Type 105N2k - 2000.
Foto: Tramwaje Warszawskie

Fahrerpult eines Triebwagens der Type Type 105N2k - 2000. Foto: Tramwaje Warszawskie
Technische Daten
Länge:
13.390 mm
Wagenmasse:
17.700 kg
Breite:
2.400 mm
Höchstgeschwindigkeit:
70 km/h
Höhe:
3.060 mm
Sitzplätze:
20
Radstand:
1.900 mm
Stehplätze:
105
Drehgestellabstand:
6.000 mm
 
Triebwagen Modell 120N
Die modernste Wagentype in Warschau ist die im Jubiläumsjahr 2008 abgelieferte Type 120N.

Vorstellung des neuen Triebwagens im Rahmen einer Pressefahrt durch den Hersteller.
Foto: PESA Bydgoszcz

Der neue Triebwagen im Linienbetrieb der
Warschauer Strassenbahn.
Foto: PESA Bydgoszcz
Es ist dies ein fünfgliedriger Niederflurgelenkstriebwagen der Firma PESA Bydgoszcz. Er entspricht dem aktuellen Stand der Fahrzeugtechnikmit enegiesparendem Antrieb und Temperaturabsenkeinrichtung für den Fahrgastraum. Er ist weiters mit vandalismussicheren Sitzen sowie einer ausklappbaren Rollstuhlrampe ausgerüstet. Um die Energiekosten senken zu können, wird die beim Bremsen gewonnene elektrische Energie in das Netz zurückgespeist (= Rekuperation). Der Fahrerstand ist vom Fahrgastraum abgetrennt und mit einem eigenen Klimagerät sowie einem ergonomisch gestallteten Fahrerpult ausgestattet.

Innenansicht Triebwagen Type 120N .
Foto: PESA Bydgoszcz
Technische Daten
Länge:
31.820 mm
Breite:
2.350 mm
Höhe:
3.400 mm
Einstieghöhe:
350 mm
Sitzplätze:
63
Stehplätze:
148
Antriebsleistung:
4 x 105 kW
Höchstgeschwindigkeit:
70 km/h
Triebwagen Modell 123 N

Die Warschauer Strassenbahn bestellte bereits 2005 30 Stück Strassenbahntriebwagen der Serie 123 N beim Hersteller HCP aus Poznan. Die Triebwagen sind vierachsige Einrichtungswagen in herkömmlicher Hochflurbauart. Sie besitzen die selbe GTO-Thyristorsteuerung, welche sich bereits bei den Wagen der Serie 105N2k bewährt hat.



Triebwagen 3136 und 3137 kurz nach deren Ablieferung noch ohne Wagennummern.
Foto: Tramwaje Warszawskie


Inneneinrichtung der Triebwagen der Type 123N.
Foto: Tramwaje Warszawskie
Die Triebwagen besitzen eine eigene Klimaanlage für das Fahrpersonal sowie ein elektronisches Diagnosesystem für die Fehlersuche. Zur Information der Fahrgäste sind Info-Displays im Wageninneren angebracht. Die Inbetriebnahme der neuen Wagen erfolgte beginnend mit Jänner 2007. Die Triebwagen erhielten die Fahrzeugnummern von 2136 beginnend, bieten insgesamt 97 Personen Platz und erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h.
Besuchen Sie auch die Seite mit historischen Aufnahmen von
der Warschauer Strassenbahn: http://tramwar.republika.pl
Der Bericht ist in Zusammenarbeit mit unserem Freund und Mitarbeiter in Polen Herrn Josef Trzionka entstanden.
Text & Bilder: Josef Trzionka
Gestaltung: Franz Straka & Martin Ortner
Oktober 2008