Saisoneröffnung 2008 des Wiener Strassenbahnmuseums

Berichterstattung von Dipl.-Päd. Martin Ortner

Am ersten Maiwochenende (3. und 4. Mai 2008) fand das schon traditionelle Eröffnungsfest im Strassenbahnmuseum in der Remise Erdberg statt. Das heurige Museumsjahr steht ganz unter dem Motto „50 Jahre Gelenktriebwagen in Wien“, weshalb auch der erste Wiener Gelenktriebwagen der Type D vom Publikum im Fahrbetrieb erlebt werden konnte. Als weitere Überraschung konnte heuer ein Gasttriebwagen in Wien begrüsst werden. Es war dies der Triebwagen 100 der ehemaligen Strassenbahn von Baden bei Wien.


Triebwagen Type „D“ 4301 (Baujahr 1957) steht vor
der Halle III neben dem ehemaligen
Hofsalontriebwagen der WLB vor Beginn der
Veranstaltung abgestellt. Foto: Martin Ortner

Der Gasttriebwagen 2008, der Wagen 100 der Badener Strassenbahn, war seitens der Besucher so begehrt, dass man ihn fast nicht alleine fotografieren konnte. Foto: Martin Ortner

Als Zubringer zum Strassenbahnmuseum fungierten wie in den letzten Jahren die Oldtimerzüge der Arbeitsgruppe Strassenbahn des Vereins der Eisenbahnfreunde (VEF). An beiden Tagen wurde jeweils zwischen 9 und 16 Uhr ein Pendelverkehr zwischen dem Südbahnhof und dem Strassenbahnmuseum eingerichtet. Eingesetzt wurden jeweils zwei Zweiwagenzüge, nämlich M 4023 und m3 5235 sowie T1 408 und m3 5400.


Der erste Zubringerzug trifft soeben im Museum ein.
Es ist dieser ein Zweiwagenzug, gebildet aus dem Triebwagen 4023 und dem Beiwagen 5235.
Foto: Martin Ortner

Zubringerzug 4023 + 5235 biegt vor der Kulisse des Hanusch-Hofs am Ludwig-Koeßler-Platz in die Schlachthausgasse ein. Foto: Martin Ortner

Triebwagen M 4023 und Beiwagen m3 5235 biegen vom Landstraßer Gürtel in die Arsenalstraße ein. In Kürze ist die Endstelle Südbahnhof erreicht.
Foto: Martin Ortner

Der Zug befindet sich auf der Rückfahrt zum Museum. Im Hintergrund befindet sich der Wiener Südbahnhof, der in Rahmen der Umbauten am Hauptbahnhofs Wien abgerissen wird. Foto: Martin Ortner

Triebwagen 408 + 5400 fahren vor dem in den Jahren 1926/27 erbauten Gemeindebau in der Schlachthausgasse in Richtung Südbahnhof.
Foto: Martin Ortner

T1 408 und m3 5400 biegen vom Gürtel kommend in die Arsenalstraße ein, um ihre Endstelle am Südbahnhof zu erreichen.
Foto: M. Ortner
Der heurige Gast der Veranstaltung, der Triebwagen 100 der 1951 eingestellten Badener Strassenbahn, konnte von den zahlreichen Besuchern der Veranstaltung ausgiebig fotografieret werden. Er befuhr, abwechselnd mit dem Gelenktriebwagen 4301, die Schleife um das Strassenbahnmuseum, welche vom Ludwig- Koeßler-Platz über die Schlachthausgasse, Erdbergstraße und Lechnerstraße wieder zum Museum zurück führte. Der Triebwagen 100 kann bereits auf eine sehr abwechslungsreiche Geschichte zurückblicken. Erbaut wurde er durch die Grazer Wagonfabrik Weitzer im Jahre 1901. Er glich im Aussehen den bereits bei der Strassenbahn Baden vorhanden Triebwagen 101 bis 110, hatte jedoch zwei Motoren mit einer Leistung von je 17 kW im Gegensatz zu den anderen Triebwagen mit je 4,6 kW sowie einen größeren Achsstand. Weiters war er mit einem Stufenfahrschalter, einer Kurzschlussbremse sowie einem Bahnräumer ausgestattet. Ab 1918 wurde der Triebwagen 100 nur mehr als Arbeitstriebwagen eingesetzt. Für diesen Einsatzzweck wurde er 1928 umgebaut und erhielt zwei Seitenfenster sowie einen Lyrabügel, welcher später gegen einen Scherenstromabnehmer ausgetauscht wurde. Er versah in weiterer Folge den Verschub in der Badener Remise Leesdorf. Später wurde der „100er“ seiner elektrischen Ausrüstung beraubt und nur noch als Salzstreubeiwagen eingesetzt. Ab 1951 erhielt er die WLB-Betriebsnummer 900. Im Jahre 1968 konnte der historisch wertvolle Wagen durch den heutigen Leiter des Tramwaymuseums Mariazell in einem sehr desolaten Zustand erworben werden. In den darauffolgenden Jahren wurde das Fahrzeug zuerst im Bahnhof Rudolfsheim und später in Ottakring aufgearbeitet. Diese Arbeiten konnten bis 1987 soweit abgeschlossen werden, dass der Triebwagen im Rahmen der Feierlichkeiten zur Eröffnung des Wiener Zentralverschiebebahnhofes in Kledering der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte. Der Abschluss der Rekonstruktion konnte schließlich Ende April 2008 erfolgen.

Technische Daten des Wagens

Radstand: 2,4 m
Länge über Puffer: 7,6 m
Gewicht: 7,1 t
Anzahl der Sitzplätze: 18
Anzahl der Stehplätze: 14


Triebwagen 100, bereits im Zustand als Arbeitstriebwagen, steht in der Badener Remise Leesdorf abgestellt. Foto: Wiener Lokalbahnen

Triebwagen 100 der Badener Strassenbahn befährt auf seiner Bahnhofsrunde die Schlachthausgasse. Den Fahrschalter bedient Herr Professor Marincig persönlich. Foto: Martin Ortner

Triebwagen 100 biegt von der Schlachthausgasse kommend in die Erdbergstraße ein.
Foto: Martin Ortner

Triebwagen 100 nähert sich der Ausstiegstelle der Bahnhofsrundfahrt und passiert die Engstelle zwischen den Hallen I und III. Foto: Martin Ortner

Im Jahre 1958 konnte der erste Gelenktriebwagen Österreichs der Öffentlichkeit präsentiert werden. Es war am 17. Februar, als der Prototyptriebwagen 4301 der neuen Wagentype „D“ den Bahnhof Simmering verlies, um auf der Linie 71 seine Jungfernfahrt anzutreten. Der Triebwagen wurde von Gräf & Stift in Wien-Liesing unter der Fabriksnummer 7614 gebaut und am 3. Juli 1957 von den Wiener Stadtwerke-Verkehrsbetrieben abgenommen. Mess-, Probe- und Einschulungsfahrten führten ihn auch auf die Strecken 80 und 106.


Eine Probefahrt führte den Triebwagen 4301 am 14. Februar 1958 auf die Strecke der Linie 80 in den Wiener Prater. Foto: MA 13, Landebildstelle Wien

Probefahrt auf der Strecke der Linie 80.
Foto: Wiener Linien

Die Besonderheiten dieser Wagentype war einerseits der schwebende Mittelteil mit seinem Teleskopgelenk der italienischen Firma Savigliano und anderseits die Tatsache, dass der Wagenkasten des Triebwagens auf zwei Fahrgestelle der Stadtbahnbeiwagen der Type n1 (5782 und 5784) aufgebaut wurde. Der Fahrschalter war ursprünglich für Hebel- und Kurbelbetrieb ausgelegt, wobei sich im Betrieb der Hebel durchsetzte. Der Wagen wurde anfangs mit zwei alten Motoren der Wagentype „T“ (U101) ausgerüstet. Diese erwiesen sich jedoch im Betrieb als zu schwach, und wurden gegen stärkere der Type WD 571 mit 46 kW Antriebsleistung getauscht. Der Wagen war für einen „Fahrgastfluss“ vom Heck zum Bug ausgelegt, wofür er im Heckteil einen fixen Schaffnerplatz eingebaut bekam.


Heckteil des Triebwagens 4301 mit dem Schaffnersitz. Gut erkennt man die zweiteilige Hecktüre, welche bei den Serienwagen durch eine dreiteilige Türe ersetzt wurden. Foto: Martin Ortner

Führerstand des Triebwagens 4301.
Foto: Martin Ortner

Der Wagen erwies sich jedoch als sehr schwerfällig (Wagenmasse 28 t) und galt beim Personal als unbeliebt. Es erfolgte jedoch durch die Verkehrsbetriebe eine Anschlussbestellung von weiteren 15 Wagen (Type D1 ), welche bereits mit stärkeren Motoren und einer dreiteiligen Hecktüre abgeliefert wurden. Ausschlaggebend hierfür waren die geringen Kosten der Triebwagen, denn diese betrugen nur 1,2 Millionen Schilling je Triebwagen (im Vergleich dazu kostete ein C1 – c1 – Zug im Jahre 1959 2,4 Millionen Schillinge). Der Einsatz der Wagen erfolgte stets vom Bahnhof Währing (Kreuzgasse 72 - 76) auf den Linien 9, 41, 42 und E2 (mit Ausnahme des Prototypen 4301, welcher von 1958 bis 1960 vom Bahnhof Simmering auf der Linie 71 eingesetzt wurde). Die ersten fünf Triebwagen der Type D1 wurden mit Jahresende 1973 ausgemustert, wobei die Ausmusterung des heutigen Museumswagens 4301 am 30. Dezember 1974 erfolgte. Er blieb als einziger Vertreter dieser Type museal erhalten. Die letzten fünf Wagen wurden mit 20. Juli 1976 ausgemustert, wobei der letzte Einsatztag am 2. Juli 1976 auf der Linie 9 erfolgte.
Technische Daten des Wagens

Radstand: 3,6 m / 6,9 m / 3,6 m
Länge über Puffer: 21,3 m
Gewicht: 28,9 t
Anzahl der Sitzplätze: 33
Anzahl der Stehplätze: 92



Triebwagen 4313 der Linie 41 kommt gerade in der Endstation Schottentor an: Foto: Ing. Hubert Ortner

Triebwagen 4301, besteckt als Linie 71, steht vor der Halle I, der Werkstätte des Museums, während der Mittagspause abgestellt. Foto: Martin Ortner

Wiens erster Gelenktriebwagen 4301 fährt in der autofreien Schlachthausgasse in Richtung Erdbergstraße. Abermals sitzt der Hausherr des Wiener Strassenbahnmuseums Herr Professor Marincig am Fahrschalter. Foto: Martin Ortner

Triebwagen 4301 schlängelt sich von Halle IV kommend zwischen den Hallen I und III durch.
Foto: Martin Ortner
Quellenangabe und Literatur

•  Österreichs Straßenbahnen in Wort und Bild
Sonderheft der Zeitschrift Eisenbahn
Verlag Ployer & Co, Wien
1951

•  Ungewöhnliche Wiener Gelenktriebwagen
Band 2, Typen D, D 1 , F und FR
Roman Lillich, Wolfgang Stütz
Eigenverlag Wolfgang Stütz
1. Auflage 1999

•  Wiener Straßenbahnmuseum – Ausstellungskatalog
Wiener Verkehrsbetriebe, Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, Ref. Straßenbahnmuseum
3. Auflage 1999

Dipl.-Päd. Martin Ortner
Gestaltung: Franz Straka
Juni 2008