Breslauer Strassenbahn
( Straßenbahn in Wroclaw)

Berichterstattung von Josef Trzionka, Gestaltung: Franz Straka & Martin Ortner

Am 4. Juli 1876 erhielt der aus Berlin stammende Johannes Büssing von der Stadt Breslau eine Konzession für die Errichtung und den Betrieb einer Pferdestrassenbahn in Breslau auf eine Dauer von 30 Jahren. Bereits am 1. November 1876 wurde diese Konzession jedoch an die „Breslauer Strassen – Eisenbahn - Gesellschaft (BSEG)“ übertragen, die ihre erste Strecke am 10. Juli 1877 eröffnen konnte. In den nächsten Jahren wurde das Streckennetz ständig ausgebaut. Das Unternehmen arbeitete mit Gewinn. Bereits 1878 konnte eine Dividende in der Höhe von fünf Prozent und 1899 von 14 Prozent ausgeschüttet werden. Im Jahre 1891 wurden mit 337 Pferden und 86 Wägen 8,2 Millionen Passagiere befördert. 1900 hatte man schon 524 Pferde, 140 Wägen und beförderte 15,4 Millionen Fahrgäste. Der Betrieb der letzten Pferdestrassenbahn wurde in Breslau am 30. Juni 1906 eingestellt.


Pferdestrassenbahnwagen in der
Kaiser-Wilhelmstrasse. Ansichtskarte um 1900
Pferdebahnwagen in der Friedrich-Wilhelmstrasse. Ansichtskarte nach 1900

Am 2. April 1892 wurde die Gesellschaft „Elektrische Straßenbahnen in Breslau (ESB)“ gegründet. Sie erhielt eine Konzession für den Bau und Betrieb eines elektrischen Straßenbahnnetzes in Breslau mit einer Konzessionsdauer von 30 Jahren. Die erste elektrisch betriebene Strecke konnte am 14. Juni 1893 eröffnet werden, es war dies die erste elektrisch betrieben Strassenbahn auf heutigem polnischen Staatsgebiet. Da auch die BSEG ihre Strecken elektrisch betreiben wollte, wurde am 14. Juni 1892 die Konzession für den Bau und Betrieb elektrischer Strassenbahnen erteilt.



Marktplatz in Breslau mit Pferdekutschen und Strassenbahn. Ansichtskarte um 1900


Elektrischer Strassenbahntriebwagen auf der Kaiserbrücke, spätere Friedensbrücke. Ansichtskarte um 1910





Triebwagen der ersten Generation mit offenen Sommerbeiwagen am Breslauer Ring. Ansichtskarte um 1910.


Dreiwagenzug der ersten Generation, bestehend aus zweiachsigen Triebwagen und zwei
Sommerbeiwagen. Aufgenommen in der Schweidnitzerstrasse. Das Gebäude im Hintergrund
ist das Stadttheater Breslau. Ansichtskarte um 1910
Als weiteres Strassenbahnunternehmen wurde am 6. August 1901 die „Städtische Straßenbahn Breslau (SSB)“ gegründet, welches im Besitz der Stadt war. Somit bestanden in Breslau drei unabhängig voneinander betriebene Strassenbahnnetze. Hierbei ist es interessant, dass auf dem Streckenabschnitt vom Bahnhof der Schmalspurbahn (Spurweite 750 mm) bis zur Stadtmitte die Strassenbahn die Gleise der Lokalbahn mitbenutzte, somit gab es auf dem Abschnitt drei Gleise. Diese Besonderheit blieb bis 1950 bestehen. Im Jahre 1900 beschloss der Gemeinderat der Stadt Breslau den Kauf der beiden privat geführten Strassenbahngesellschaften. 1911 konnte die Stadt den Anteil der Aktien an der BSEG erwerben und gliederte deren Linien in das eigene Netz ein. Vom 1. Juni 1912 bis ins Jahr 1913 existierte in Breslau auch eine ca. 4,4 km lange O-Busstrecke.



Pferdeomnibus-Verkehr im Jahre 1910 am Hauptmarkt in Breslau. Ansichtskarte


Pferdeomnibusse und Wagen der
Pferdestrassenbahn treffen einander am Ritterplatz. Ansichtskarte um 1900.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges waren in Breslau 85 Triebwagen und 150 Beiwagen vorhanden. Der Personalstand betrug 673 Mitarbeiter, welche 29,6 Millionen Passagiere beförderten. Am 1. Juni 1923 konnte von der Stadt Breslau auch das Streckennetz der ESB übernommen werden. Somit war die SSB der alleinige Betreiber in Breslau. Die Strassenbahn in Breslau wurde im Zweiten Weltkrieg nahezu vollkommen zerstört. Sie litt an der Bombardierung der Stadt besonders stark („Festung Breslau“). Es dauerte jedoch nur bis zum 22. Juli 1945 bis die erste Strassenbahn wieder fuhr. Die nächsten Jahre waren vom Wiederaufbau geprägt.


Strassenbahn - Netz in Breslau (Wroclaw)
Die Farben bedeuten:
Blau: BSEG -Netz
Grün: ESB-Netz
Violett (und rot): SSB-Netz
Gelb: neu gebauter Teil nach 1945 (MPK)
Es dauerte aber bis 1990, bis man die letzte im Krieg zerstörte Strecke wieder aufgebaut hatte. Das nächste Unglück, welches über die Strassenbahn herein brach, war das Hochwasser von 1997, als große Teile des Streckennetzes zerstört wurden. Der Aufbau nach dem Hochwasser wurde auch zur Modernisierung der Strecken herangezogen.

Fuhrpark

Zu Beginn des Pferdebahnbetriebes 1877 reichten 18 Personenwagen und 19 Pferde dänischer Rasse für den Betrieb aus. Die Wägen der ersten Generation wurden von der Wagonfabrik Herbrandt in Köln gefertigt. Die nächste Generation wurde bereits in Breslau durch die Firma Linke-Hofmann gebaut.

Historischer Wagen 161 der Pferdestrassenbahn.
Foto: MPK

Elektrischer Triebwagen erster Generation mit Wagennummer 1 im Zustand der Ablieferung.
Foto: MPK

Die ersten 40 elektrischen Triebwagen und 25 Beiwagen wurden ebenfalls von Linke-Hofmann hergestellt. Die Wagen gehörten der Gattung „Berolina“ an und wurden in den Jahren 1902/03 an die ESB geliefert. Auch die Wägen der Bauart „Standard“ wurden von 1925 bis 1927 von Linke-Hofmann gebaut, wobei insgesamt 232 Wagen geliefert wurden.


Museumstriebwagen Modell Berolina,
Wagennummer 1, steht mit Beiwagen Nummer 2
als älteste Linie Breslaus besteckt, welche von
Breslau nach Jas und Malgosia führte. Foto: MPK

Triebwagen der Bauarten „Standard“ und „Berolina“ treffen einander in der Schweidnitzerstrasse in den späten 1930er Jahren. Ansichtskarte

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Wägen der Bauart N (1950 – 1951), 105 N (1969), 102 Na und 102 Nd gebaut, wobei letztere nur in Breslau verwendet wurden.


Triebwagen 1332 der Type 4N als Linie 125
besteckt. Foto: MPK

Wagen 2110 der Type 102 Na. Foto: MPK

Wagen 2454 der Type 105 Na auf Linie 23. Foto: MPK

Wagen der Linie 6 der Type 102 Nd. Foto: MPK

Heute werden von den Städtischen Verkehrsbetrieben Breslau (MPK, Miejskie Przedsiebiorstwo Komunikacyjne) insgesamt 410 Wägen auf 22 Linien eingesetzt. Die Länge des Streckennetzes beträgt zur Zeit ca. 258,2 km, wobei bereits weitere Ausbaupläne vorhanden sind. Eingesetzt werden die Wägen der Bauarten 102 Na, 105 Na, Protram 205 WrAs und die neuen Niederflurwagen von Skoda der Bauart 16T.


Wagen der Type 105 Na (2206, Linie 70) trifft auf modernisierten Wagen der Type 105 Na (2239,
Linie 8). Foto: MPK

Triebwagen 2604 der Type Protram 204WrAs ist auf Linie 17 im Einsatz. Foto: MPK

Moderner Niederflurtriebwagen der Type T16, Wagennummer 3001, gebaut von Skoda.
Foto: MPK

Triebwagen 3013 der letzten neuesten Generation
im Einsatz auf der Linie 6. Foto: Firma Skoda

Im Zentrum der Stadt Breslau wird eine historische Linie betrieben. An historischen Wägen stehen derzeit zur Verfügung:

•  Pferdestrassenbahn
•  Modell Berolina (Baujahr 1901-1902)
•  Modell LH Standart (Baujahr 1925-1929) – 10 Stück
•  Modell Konstal N (Baujahr 1950-1951) – 9 Stück
•  Modell Konstal 105 N (Baujahr 1969)
•  Modell Konstal 102 Na G-089

Die Breslauer Strassenbahn wies und weist auch heute einige Besonderheiten auf, die nicht ein jeder Strassenbahnbetrieb vorzuweisen hat. So sind hier zu nennen:

•  Post-Straßenbahn. Es wurde eine spezielle Linie für die Post –Fracht eingerichtet.


Triebwagen zur Postbeförderung. Foto: MPK


Verladung eines Verwundeten mittels Tragbahre in einen Lazarettwagen der Breslauer Strassenbahn
während des Ersten Weltkrieges. Foto: MPK


•  Krankenbeförderung mittels eigenem Krankentransportwagen (auch nach 1945!)

•  Güterbeförderung mittels Strassenbahnfahrzeugen


Triebwagen 109 schleppt sechs Lastenbeiwagen.
Foto: MPK

Lokomobil, welches zwischen 1875 und 1900 als Zugfahrzeug für Lastenanhänger eingesetzt wurde.
Foto: MPK

Sprengwagen G-061 und ein zweiter
Arbeitstriebwagen stehen in der Remise abgestellt. Foto: MPK

•  Sprengwagen zum Bewässern der Strassen

•  „Kaffee auf Schienen“, •  Kinderkrippe und andere.

Literatur

•  Siegfried Bufe: Straßenbahnen in Schlesien, Stuttgart 1976

•  Gerd Kleinwefers: Pioniere des Verkehrs: Deutsche Eisenbahn- und
Straßenbahn-AG 1835 – 1985, Frankfurt am Main, 1985

•  Tramwaje we Wroclawiu 1877 – 2006, Oficyna Wydawnicza Politechniki Wroclawskiej, 2006

Text & Bilder: Josef Trzionka
Gestaltung: Franz Straka & Martin Ortner
August 2008