Trambahn St. Gallen (seit 1950 V B S G )

Berichterstattung von Hans Rudi Lüthy / Gestaltung von Franz Straka
Betriebseröffnung

Bahnhof - Krontal, Bahnhof - St. Leonhardstrasse - Reitbahn 20.5.1897
Krontal - Neudorf (Verlängerung) 1.12.1910
Union - Reitbahn 30.10.1911
Hochwacht - Nest (Verlängerung) 20.4.1913
Bruggen (Stocken) - Heiligkreuz 7.1.1916
Hochwacht - Nest (Verlängerung) Okt. 1936

Betriebseinstellung

Marktplatz - Platztor 18.10.1916
Bahnhof -Nest 17.7.1950
übriges Netz der Trambahn 30.9.1957

Technische Daten

Betriebslänge: 11.641 m
Spurweite: 1.000 mm
Stromart 550 Volt
Max. Steigung 64 – 78 ‰





Ce 2/2 Nummer 2 und Anhängewaggon Nummer 52
ca. 1948. Foto: VBSG

Xe 2/2 201 (Spreng und Schneeräumung) im Depot und im Hintergrund Ce 2/2 der Linie 1. Foto: VBSG

In einigen Städten der Schweiz kannte man das „Rösslitram“ und die „grosse Eisenbahn“ als Beförderungsmittel. In St. Gallen kannte man diese schon 1856 , als die Bahnlinie Winterthur-Wil-St. Gallen-Rorschach in Betrieb genommen wurde. Der elektrische Strom war in der Ostschweiz noch nicht so viel verbreitet. Aus Deutschland war bekannt, dass Ingenieur Lührig in Dresden komprimiertes Leuchtgas als Kraftquelle für die mit Gasmotoren ausgerüsteten Strassenbahnwagen benutzte. 1893 wurde in St. Gallen die Frage einer städtischen Strassenbahn besprochen. Die Strassenbahn Vevey-Territet-Chillon wurde im Jahre 1888 in Betrieb genommen, weitere Erfahrungen über Strassenbahnen hatte man aber sonst keine.


Ce 2/2 Nummer 13 und C2 Nummer 54 auf der
Linie 1 vor dem Bahnhof ca. 1950. Foto VBSG
Im März 1895 wurde der Stadt St. Gallen von Herrn Billviller, der an der Sitter ein Wasserwerk anlegt hatte für den Betrieb und die Beleuchtung einer Bierbrauerei „Zum Schützengarten“. Dies war der Bürgerversammlung in einem Antrag vorgelegt worden, das elektrische Kraftwerk zu pachten und sofort den Ausbau der im Gaswerk bestehenden elektrischen Anlage in der Weise vorzunehmen, dass sie imstande sein würde, etwa 2000 installierte Glühlampen mit elektrischen Strom zu versorgen. So hatte das Initiativkomitee für eine städtische Strassenbahn seine Fühler
ausgestreckt und am 8.11.1895 vom Gemeinderat der Stadt St. Gallen die Konzession für den Bau und Betrieb erhalten. Im Sommer des darauffolgenden Jahres befasste man sich eingehend mit der Finanzierung, als mit einem Male Stimmen laut wurden, die Stadt selber soll den Bau der Strassenbahn und deren Betrieb übernehmen. Nach einer Versammlung am 28.8.1895 sah sich der Gemeinderat veranlast, zu prüfen, ob und wie sich der elektrische Strom für einen Trambahnbetrieb mit einer elektrischen Beleuchtungszentrale vereinbaren lasse.

Ce 2/2 Nr. 8 bei der Endstation Bruggen. Foto: VBSG

Xe 2/2 102 mit dem Schneepflug ca. 1935. Foto VBSG

Man hatte ganz konkrete Pläne, die nun vorgelegt und geprüft wurden (grundsätzlich auf Rechnung und Gefahr der politischen Gemeinde St. Gallen). Folgende Tramlinien waren vorgesehen: „Stahl-Rosenberg - Marktplatz - Theaterplatz - Thorstrasse - St. Jakobstrasse - Heiligkreuz sowie Bahnhof - Poststrass - Oberer Graben - Theaterplatz - Rorschacherstrasse - St. Finden - Krontal und als 3. Linie war als Anschlussprojekt geplant: Bahnhof - Kornhausstrasse - St. Leonhardstrasse - Maltergasse - Speisergasse - Linsenbühl. Die Umlandgemeinden hatten sich betreffend Garantieleistungen zu beteiligen. Auch eine Fortsetzung nach Bruggen stand auf dem Papier.

Durch Anleihen wolle man die budgetierten Kosten von 1.530.000.- Franken abdecken. Das umfangreiche Bauprogramm wurde am 14.1.1895 genehmigt und an fünf verschiedene Firmen zur Angebotseinholung ausgeschrieben. Bis zum 18.1.1896 gingen 5 Projekte ein. Die Vergebung der elektrischen Anlagen inklusive Motorwagen erfolgte am 13.2.1896 an die Maschinenfabrik Oerlikon (MFO). Die Erwerbung der entsprechenden Konzession bot dannach keinerlei Schwierigkeiten. Der Bahnbau wurde unverzüglich in Angriff genommen und


Ce 2/2 nummer 46 auf der Linie 5 (Teufnerstrasse).
Foto: VBSG
erforderte 102.000.- Franken weniger als veranschlagt war (Wegfall durchgehende Pflästerung zwischen Gleisen und Strassenschale, Trasseänderungen und billigere Ausführungen). Auch für das Rollmaterial wurde 115.000.- Franken weniger ausgegeben, da man mit 22 statt 25 Motorwagen und keinen Anhängewagen auskam.


Ce 2/2 Nummer 31 und 37 und Xe 2/2 151 vor
dem Depot. Foto: VBSG

Xe 2/2 Nummer 151 mit Güterwagen Nummer
304, 301, 302, 303 vor dem Depot ca. 1940.
Foto: VBSG

Im Frühjahr 1897 wollte man die Strassenbahn eröffnen, weshalb am 16.6.1896 mit dem Bau der Hochbauten, im Oktober 1896 Eindeckung der Wagenremise, von September bis November 1896 mit den Gleiseanlagen Union-Bruggen, Union-Post Langgasse, von September bis Dezember 1896 Union-Krontal, Post Langgasse bis Heiligkreuz, begonnen und eifrig gearbeitet wurde. Die amtliche Kollaudation der "St. Gallischen Trambahn" war auf den 22.4.1897 , die Einweihung der Anlagen am 19.5.1897 und der offizielle Bahnbetrieb am 20.5.1897 festgelegt . Die im allgemeinen ziemlich schmalen Strassen bedingten den einspurigen Bau der Tramlinien. Doppelspurig wurden nur für beide Linien, die gemeinschaftlich über den Marktplatz führten. So mussten verschiedene Ausweichstellen eingerichtet werden. Die engen Strassen im Stadtgebiet hatten einen nachteiligen Einfluss auf die Richtungsverhältnisse und forderten kleine Minimalradien (kleinster Radius 15 m).

Bahnhofsplatz St. Gallen und die Linien 3 und 5
mit Lyrabügel. Linie 1 mit Pantograph, ca. 1945.
Foto: VBSG

Die Steigungsverhältnisse, auf der Strecke Bruggen-Heiligkreuz waren nicht sehr günstig. Für den Unterbau wurde der vom Ausland her bekannte Typ der Rillenschienen (12 m Stücke) verwendet. Hiefür wurde im Akkord gearbeitet (Aufgraben, Legen der Steinbettung und der Geleise, Krampen und Einfüllen bei Strassenabschnitten). Der Oberbau wurde in einer sogenannte Kontaktleitung mit 11.300 m Kupferdraht ausgeführt. Bei den Hochbauten ist die 61,5 m lange, 14,5 m breite und 5,2 m hohe Wagenremise mit 4 Geleisen erwähnenswert.

Die 22 Tramwagen wurden von der SIG Neuhausen/MFO elektrischen Teil geliefert (Länge 7,5 m, 5 t Gewicht). Der Schneefegemotorwagen, der von einem Motor zu 50 PS an beiden Achsen angetrieben wurde kam von der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft Berlin. Die Leistung der Fahrzeuge war nicht berauschend, sodass bereits 1898 das Fahrzeug umgebaut wurde. Einsatz der Fahrzeuge von 6 Uhr bis 22 Uhr.


Xe 2/2 Nummer 151 mit vier Anhängewagen bei der Schneeräumung, ca. 1935. Foto: VBSG

Endstation Heiligenkreuz mit Abstellgruppe, ca. 1945. Foto: VBSG

Schon nach kurzer Zeit zeigte sich, dass besonders in der Winterzeit bei starkem Frost die Adhäsionsverhältnisse abnormal (Leistung fällte) waren und die Traktionskoeffizienz nicht mehr genügte. Die 22 Motorwagen wurden sodann in zweimotorige Wagen umgebaut sowie 6 Triebwagen mit Doppelmotoren neu beschafft. Im August bzw. September 1898 waren die Umbauten bzw. die Neulieferung abgeschlossen und der Regelbetrieb erfolgte mit Neu und Altbaufahrzeuge. Die Ce 2/2 Triebwagen hatten die Steifkupplungen und die Stromabnahme erfolgte mit dem bekannten Lyrabügel, (der sogenannte Trolleybügel war hier nie gebräuchlich).


Xe 2/2 Nummer 151 bei der Fahrleitungsmontage. Foto: VBSG
Die ursprünglichen Anlagen haben im Laufe der Jahre beträchtliche Veränderungen erfahren. 1899 hatte man an der Endstation Bruggen Schleifen eingebaut, während in Stocken, Heiligkreuz und Krontal einfache Ausweichen zum Umrangieren vorhanden waren. Im Jahre 1901 folgten die ersten zwei geschlossenen Motorwagen 29 und 30. 1903/1904 kamen die Wagen Nr. 31-38 in Betrieb. Die Wendeschleife in Heiligkreuz wurde im Jahre 1936 gebaut. Verschiedene stark frequentierte Streckenabschnitte wurden zwischen 1911 und 1922 doppelspurig ausgebaut oder es
wurden wie Krontal-Neudorf Linien verlängert. 1912 wurde die Teufenerstrasslinie bis Hochwacht-Nest (200 m von der Appenzeller Strassenbahn-Haltestelle Riethüsli entfernt) verlängert, sodass auf einem kurzen Stück drei Gleise nebeneinander waren.

Ce2/2 der Linie 5 beim Engpass Kaufhaus St. gallen, ca. 1945. Foto: VBSG

Ce2/2 Nummer 5 bei der Endstation Neudorf, ca 1945. Foto: VBSG
Im Jahre 1914, nach Fertigstellung des neuen Hauptbahnhofes und der Verlegung der Trogenerbahn und Appenzeller Strassenbahn in den Nebenbahnhof wurde mit dem Bau der Schleifenanlage Bahnhof - Herlvetia - Bahnhof begonnen und die Linie Bahnhof – St. Leonhard – Reitbahn auf Doppelspur ausgebaut. Die Ausdehnung des Betriebes gab Anlass zur Beschaffung der stärkeren, 94 PS leistenden Motorwagen . 1922 wurden die ersten „grossen“ Motorwagen Ce 2/2 Nr. 1 – 4 in Betrieb genommen, denen die Ce 2/2 Nr. 5 – 8 im Jahre 1925 folgten. Im Jahre 1929 wurde das Gleis Schönenwegen-Heimstrasse als Novum bei einem städtischen Strassenbahnbetrieb auf einem eigenen Bahnkörper verlegt, (sogar mit zwei Niveauübergängen).

1931 wurden weitere Motorwagen Ce 2/2 Nr. 9 – 14 beschafft. In den Jahren 1923 bis 1936 wurden verschiedene Umbauten vorgenommen (Dienstwagen oder ältere Motor- zu Anhängewagen). Auch wurde separat ein Schweisswagen Xe 2/2 Nr. 153 beschafft. Durch die steigenden Frequenzen sah sich die Trambahn gezwungen neues Rollmaterial anzuschaffen. Dies geschah im Jahre 1947 und die St. Galler waren stolz auf ihre neuen Tramwagen denn es wurde auf eine gefällige Innenausstattung geachtet.


Wagen Nummer 52 (1947). Foto: FFA/VBSG

1948 wurden noch 8 Anhängewagen von den Flug- und Fahrzeugwerken Altenrhein auf Untergestellen der Wagonsfabrik Pratteln abgeliefert (mit 9,92 m Länge sind 20 Sitz- und 55 Stehplätze im Angebot). Die Fahrzeuge hatten einen Bügelstromabnehmer und die automatische + GF + - Kupplung. Für gewisse Querverbindungen in der Stadt setzte man zu dieser Zeit die ersten Omnibusse ein. Als im Jahr 1950 auf der Linie 3 (Bahnhof-Heiligkreuz) und die Linie 5 (Bahnhof-Nest) auf Trolleybusbetrieb umgestellt wurde, begann in St. Gallen eine neue Ära. Vier Wagen Nr. 23, 24, 27 und 28 gingen 1950 an die Iserlohner Kreisbahn (Deutschland).


Ce 2/2 Nummer 5 aus dem Jahre 1925 mit Lyrabügel. Foto: Archiv VBSG

Im Laufe der Jahre war die St. Galler-Tram ein Stück Tradition geworden und es hatte sich im Denken und Fühlen eines grossen Teiles seiner Benützer einen pietätvollen Platz erobert (Für die Bevölkerung ein wichtiges Verkehrsunternehmen). Kein Wunder, dass die entscheidene Abstimmung vom 10.7.1955 über den Kredit für die Umstellung auf Trolleybus kampflos verlief. Ein Zürcher Grossraumtramwagen mit Anhänger stand in diesem Vorfeld auf den Tramschienen von St. Gallen im Einsatz und warb für den Erhalt der Trambahn St. Gallen.

Mit 8565 Ja Stimmen gegen 5108 Nein Stimmen entschied sich das St. Galler-Volk für das neue Traktionsmittel, den Trolleybus. Die Tage der guten alten „Trämlis“ waren gezählt und die 60-jährige Geschichte fand ihr jähes Ende.
Der letzte Tag der Trambahn war auf den 30. September 1957 festgelegt. Obwohl die Verwaltung der technischen Betrieb keine besondere Feier vorgesehen hatte, brach gegen Abend überall Festfreude – oder da und dort eine kleine Träne – aus. Die manchmal kritisierte, verlästerte und dennoch geliebte Tram einfach sang- und klanglos zu verabschieden, ging weiten Kreisen der Bevölkerung gegen den Strich. Zum Preis von zwei Rappen je Fahrt konnte man bei diesem letzten Anlass nochmals das „Vehikel“ benützen

Ce 2/2 Nummer 11 in Neudorf, ca. 1950. Foto: VBSG

Trauerflor und sonstige Blumen schmückten die letzten Tramwagen. Unter den Tönen der Arbeitermusik dirigierte jeder Tramführer sein Vehikel auf dem Marktplatz bzw. am Bahnhof „zur Seite“, oder wurden von gewissen Enthusiasten ins Depot gestossen oder die Motorwagen mit Autobussen abgeschleppt. Seit dem 1. Oktober 1957 sah man hochmoderne Saurer-Trolleybufahrzeuge mit entsprechenden Anhängewagen auf allen Linien im Einsatz. „Auf der Strecke Neudorf – Stocken blieb auch ich gar manchmal hocken“ stand auf einem verabschiedeten Motorwagen! Die Motorwagen, welche seit 1950 noch den ganzen Betrieb (Leistung 132 PS) bewältigt hatten wurden wie auch die modernen Anhängewagen Nr. 51-58 zum Verkauf ausgeschrieben. Während einige Wagen abgebrochen wurden war ein Teil der Fahrzeuge fortan noch einige Jahre bei den Basler Verkehrsbetrieben (BVB) eingesetzt. Ein Triebwagen Xe 2/2 war noch bei der Trogenerbahn im Einsatz.

Quelle

Geschäftsberichte Verkehrsbetriebe der Stadt St. Gallen
Broschüre 50 Jahre Trambahn St. Gallen Archiv VBSG
Angaben gemäss VHS und Eisenbahn Amateur

Text: Hans Rudi Lüthy-Pavan
Gestaltung: Franz Straka
September 2008